Ukrainekrise: drohen in Deutschland britische Verhältnisse mit Versorgungsengpässen?

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Die Logistik- und Transportbranche in Deutschland könnte schon bald von der Krise in der Ukraine unmittelbar betroffen sein. Der Branchenverband Camion Pro befürchtet durch den Wegfall osteuropäischer Fahrer eine Verknappung von Transportkapazitäten.

Während viele Menschen eine neue Flüchtlingskrise und den Zustrom von Menschen aus der Ukraine befürchten, könnte das genau Gegenteil ein Problem werden. Andreas Mossyrsch von Berufsverband Camion Pro macht dazu eine beunruhigende Rechnung auf: „Wir wissen aus den Mauterhebungen des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), dass fast 50 Prozent der LKW, die auf deutschen Autobahnen unterwegs sind, aus osteuropäischen EU Staaten stammen. Diese LKW versorgen in erheblichem Maße die Industrie und den Handel in Deutschland. Ein erheblicher Teil der Fahrer, die dort eingesetzt werden, sind keine EU-Bürger, sondern kommen aus Staaten wie der Ukraine und Weißrussland.“ Mossyrsch schätzt, dass bei einigen großen Transportunternehmen in Litauen der Anteil der Fahrer aus diesen Ländern 90 Prozent ausmacht.

Der Verbandsvorsitzende geht davon aus, dass es infolge möglicher kriegsähnlicher Zustände zu Grenzschließungen beispielweise von und nach Belarus kommen könnte. Zudem sei zu erwarten, dass viele ukrainische Fahrer aus Sorge um ihre Familien in ihr Heimatland zurückkehren, vom Militär eingezogen werden oder sich freiwillig für den Dienst an der Waffe melden. „Die Transportbranche ist schon jetzt von einem dramatischen Fahrermangel betroffen. Sollte infolge der Ukraine-Krise auch nur zehn Prozent der LKW in der EU ausfallen, lässt sich das nicht kompensiert“, schätzt Mossyrsch die Lage ein.

Was es bedeutet, wenn Fahrer aus Osteuropa wegbrechen, musste Großbritannien im Jahr 2021 schmerzlich erleben: Lieferengpässe in den Supermärkten und an den Tankstellen. Sogar das Militär musste mit Soldaten bei der Belieferung der Tankstellen einspringen, um einen vollständigen Zusammenbruch der Versorgung zu verhindern. Mossyrsch stellt fest: „Vielen Menschen in Deutschland ist gar nicht klar, dass wir uns in den letzten Jahren nicht nur bei Elektronik, Medikamenten und Rohstoffen von China, Indien und Russland abhängig gemacht haben, sondern auch die Fähigkeit verloren haben, unser Land selbst zu versorgen.“ Billigspeditionen, die häufig Fahrer mit Sozialdumping in katastrophalen Verhältnissen beschäftigen, haben in den letzten 15 Jahren durch Dumpingpreise den deutschen Speditionen einen erheblichen Marktanteil abgenommen. Das Ergebnis: sinkende Reallöhne bei einheimischem Fahren und Geschäftsaufgaben unter den Transportunternehmen in Deutschland. „Wenn das Szenario so eintritt, wie man es befürchten muss, wäre Deutschland mit Versorgungsengpässen schneller und härter betroffen als durch einen Gas-Boykott Russlands“, befürchtet Mossyrsch.

Camion Pro beschäftigt sich seit Jahren mit Sozialdumping und Wirtschaftskriminalität in der Transportbranche und ist an verschieden wissenschaftlichen Studien beteiligt. Im April 2022 plant Camion Pro e.V. ein Symposium mit Wissenschaftlern und Vertretern der Gewerkschaft und der EU, bei der neuen Studie des Verbands vorgestellt werden sollen.

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